Nachhaltig wirksame visuelle Reize
Ökologie und soziale Gerechtigkeit im Design visueller Medien
Ökologische Verantwortung und soziale Gerechtigkeit im Kommunikationsdesign erfordern unabhängige Detailanalysen. Gemeinsame Analysen sind dann sinnvoll, wenn es um ein soziales gerechtes Verhalten im Design gegenüber nachfolgenden Generationen geht. Diese Denkweise geht auf verschiedene Modelle, Definitionen und Theorien zurück, die zu neun Ansätzen für das Kommunikationsdesign führen.
Natur, Mensch, Gestaltung
Ökologie ist die Lehre von den Wechselbeziehungen zwischen belebter und unbelebter Natur. Projizieren wir diese Definition auf Medien und Gestaltung, dann geht es um Wahrnehmung und visuelle Substanz: Visuelle Ökologie hat mit dem Informationsfluss zwischen visuellen Medien und Menschen zu tun. Einerseits damit, wie diese Medien aufgebaut sind und andererseits damit, wie diese rezipiert werden. Designanalysen vor dem Hintergrund von Ökologie und Nachhaltigkeit nutzen Wahrnehmungs-, Informations- und Kommunikationstheorien sowie Theorien, Methoden und empirische Erkenntnisse aus Entwurfsprozessen und Umgang mit Design. Das sind beispielsweise formale Gestaltungsregeln und Farbtheorien aus dem Mediendesign und Fragen zu Informations- und Aufmerksamkeitsökonomie. Zudem werden sozialwissenschaftlich fundierte Theorien genutzt, die im System von visueller und medialer Materialität, der visuellen Substanz, und den Rezipierenden als Glieder von Gesellschaften angesiedelt sind. Ein für die angewandte Designtheorie wichtiger Ansatz ist die optische Rezeptionstheorie von James J. Gibson [1]. Er untersuchte Wechselwirkungen zwischen Menschen und Umgebung und unterschied den reinen Lichtreiz vom Lichtreiz zur Informationsübertragung. Diese Unterscheidung führt zur Annahme für visuelles Design, es gibt zur Informationsvermittlung notwendige und nicht notwendige Lichtreize innerhalb eines visuellen Mediums. Nachhaltige Kommunikation nutzt notwendige Reize und vermeidet nicht notwendige.
Eine in der Designlehre etablierte Methode ist die phänomenologische Analyse der Parameter Form, Farbe, Raum und Zeit vor dem Hintergrund gestaltungspraktischer Kontexte. In vielen Fällen wird nach einer Verbindung von visueller Substanz und kommunikativer Funktion gefragt. Das Sichtbare eines Mediums bildet die visuelle Substanz. Analysen von visueller Substanz in der Kartografie führte Jacques Bertin [2] durch. Er schlug für die Kartografie bestimmte visuelle Elemente und Strukturen sowie Strategien vor, die eine zielführende visuelle Kommunikation ermöglichen. Design vor dem Hintergrund der spezifischen Anwendung situations- und benutzerorientiert zu analysieren ist ein weiterer Ansatz. Zum Beispiel Untersuchungen um visuell-transgressive Kräfte zwischen Designlösungen und Menschen aufzuspüren und diese methodisch zu verbessern [3]. Je individueller die Ansprüche von Menschen an Design und Medien, an Aufbau und Adaptivität einer digitalen medialen Oberfläche sind, desto wichtiger sind informationsökonomische und -ökologische Betrachtungen aller zusammenwirkenden Parameter im Kontext visueller Kommunikation. In diesem Zusammenhang spielt der inhaltliche Aufbau von Medien eine ebenso wichtige Rolle, doch konzentriert sich vorliegende Darstellung auf visuelle Parameter.
Kritik und Verantwortung
Viele der aktuellen Fragen nahm Viktor Papanek in den 1970er Jahren vorweg. Er analysierte und kommentierte anhand zahlreicher Fallbeispiele und Projekte gesellschaftliche Problemstellungen [6]. Er betrachtete das Große und Ganze und warf Detailfragen auf, stellte Forderungen an das Design und entwickelte Vorschläge, Designprozesse nachhaltig zu verbessern. Bei seinen Ausführungen verfolgte er stets einen sozialen und ökologischen Anspruch. Die Rolle von Design als wichtiger Faktor für eine gezielte Veränderung der Gesellschaft war für Papanek selbstverständlich. Dieser Ansatz macht seine Gedanken, Beispiele und Szenarien für Designerinnen und Designer zu einem Leitgedanken für soziale und nachhaltige Transformation, beispielsweise zu Mobilität und Städteplanung. Er belegte nicht nur über 65 Jahre teils sorglosen Umgang mit ökologischen und sozialen Themen, sondern auch den Anspruch im Design, sich diesem zu stellen. So stellte er die ganz grundsätzliche Frage, ob Werbung für bestimmte Produkte bei jeder Zielgruppe angebracht und ethisch zu verantworten ist.
Visuelle Ökologie
Bilder und damit verbunden visuelle Medien und Produkte werden von einer bestimmten Person zu einer bestimmten Zeit oder Zeitspanne an einem bestimmten Ort wahrgenommen. Für einen informationsökologischen Ansatz im Kommunikationsdesign werden einerseits die Frequenz der Entstehung von Bildern und andererseits deren Darstellungsweisen betrachtet. Visuelle Ökologie untersucht den Informationsfluss zwischen visuellen Medien und Menschen, die diese nutzen. Dabei werden Menschen als Teil von Gesellschaften aufgefasst, die Zumutbarkeit der auf sie einwirkenden Informationsmenge und der Informationscharakter berücksichtigt und damit verbunden die Qualität der eingesetzten Mittel bewertet.
Betrachten wir die Wahrnehmung von visuellen Eindrücken, genauer die analoge Wahrnehmung von für kommunikative Zwecke erzeugter Bilder: Reize verändern sich ständig und der Mensch ist nicht mehr dazu in der Lage, einzelne Bilder wahrzunehmen. Vielmehr rezipiert er zahlreiche aneinandergereihte Bildeindrücke, und das in vielen Fällen über einen Medienmix. Auf dieses Phänomen führt Paul Virilio das Problem der analogen Wahrnehmung zurück, die Industrialisierung des Sehens [7]. Aufgrund der raschen Vergänglichkeit der Reize werden Bilder nur als Bilderfluss wahrgenommen. Den Sehenden fehlt die Möglichkeit ein Bild, einen einzelnen Reiz zu verstehen. Das ist prinzipiell ein natürliches Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Doch die schiere Fülle an Eindrücken führt in vielen Fällen zu Stress.
Visuell-ökologisches Handeln
Ökologisches Handeln durch visuelle Gestaltung führt zur Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung im Kommunikationsdesign. Virilio forderte die Senkung der Ausstrahlungsintensität von Bildern, doch ist das im Kommunikationsdesign umsetzbar? Eine Aufgabe der visuellen Kommunikation ist die Entwicklung pikturaler Elemente und Strukturen. Das sind, neben einzelnen Bildzeichen wie Signets oder Piktogrammen, meist komplexe Zusammenstellungen verschiedenster Bildparameter und -materialien für Layouts, Illustrationen und Fotos. Im engeren Sinne geht es um die Auswahl, Platzierung und Inszenierung von für einen kommunikativen Zweck geeignetem visuellem Material in Form von Linien und strukturierten Flächen in Helligkeitsabstufungen und Farben.
Durch die richtigen visuellen Methoden effektiv und zielgruppenspezifisch zu argumentieren ist visuell-ökologisches Handeln. Virilio und Gibson folgend ist es zudem nachhaltiger, weniger visuelle Eindrücke zu erzeugen als bisher üblich. Das bedeutet für nachhaltig wirksames Kommunikationsdesign, weniger visuelle Impulse zu entwerfen und diese zielgerichtet einsetzen. Ein leider immer noch verbreiteter Irrtum ist die Einschätzung, dass eine einzelne Designlösung für alle Zielgruppen gleichermaßen funktionieren kann. Das gilt aber nur bei Ausnahmeprojekten. Dabei kann nachhaltig und effektiv – also ökologisch und ökonomisch – besser kommuniziert werden, wenn Zielgruppen unmittelbar durch spezifische Medien in spezifischer Sprache und Stilistik angesprochen werden. Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn nicht relevante Zielpersonen von visuellen Eindrücken verschont bleiben und für die gewünschte Zielgruppen effektiv visuell kommuniziert wird, dann ist Kommunikationsdesign visuell-ökologisch.
Ist nachhaltiges visuelles Design möglich?
Entscheidungen im Designprozess bestimmen die Auswirkung von Produkten und Prozessen auf die Umwelt. Nachhaltiges Design soll von der Konzeption und Produktion bis hin zum Recycling ökologische und soziale Prinzipien berücksichtigen. Nachhaltigkeit sollte nicht als eine bestimmte Richtung oder Feld von Design verstanden werden, sondern ist Voraussetzung allen Designs, um positive Änderung zu bewirken. [8]
Designer und Designerinnen können im Sinne einer visuell-ökologischen Handlungsweise Reizfrequenzen mindern und Information Zielgruppengerecht strukturieren, visualisieren und präsentieren. Codierungsregeln für nachhaltig wirksame visuelle Codes formulierten Otto Neurath und Gerd Arntz [9]. Ihr Ansatz kann in fünf visuellen Codierungsregeln zusammengefasst werden: Im relationalen Einsatz der Bildzeichen, in der Typisierung von Bildzeichen, dem Verzicht auf perspektivische Darstellung, der hohen Konsistenz im Einsatz der Bildzeichen und einer Klarheit in der Farbgebung. Die Bildzeichen von Neurath und Arntz bilden ein Zeichensystem, das durch konsistente und nachhaltige Verwendung und möglichst große Gegenstandsähnlichkeit vorwiegend ikonografisch funktioniert [10]. Das kommt einer unmittelbaren und damit sozial nachhaltigeren Kommunikation gleich. Werden zum Beispiel ikonografische Zeichen konsistent eingesetzt, können sich Notationen und Notationssysteme etablieren. Für eine niederschwellige Informationsvermittlung durch Bilder werden ikonografische Darstellungen lediglich als visuell-rhetorische Figur der Analogie genutzt [11]. Auf diese Weise wird positive visuelle Transgression erzeugt und nachhaltig kommuniziert.
Soziale Gerechtigkeit im visuellen Design
Ein sozial gerechter Zugang zur Information berücksichtigt sowohl die kognitiven Fähigkeiten als auch die Wünsche und Bedürfnisse einer Person. Das führt zu einem niederschwelligen Zugang zur Information, einerseits durch Formulierungen im Text, einer Sprache die eine Zielperson erreichen kann oder einen Schreibstil, der sie anspricht. Andererseits mit der visuellen Stilistik, die eine Zielperson verstehen kann oder verstehen möchte.
Für den niederschwelligen Zugang zur Information sind präsentative Methoden den repräsentativen vorzuziehen. Präsentative Techniken sind Voraussetzung für natürliche Zeichenzusammenhänge. Natürliche Zeichenzusammenhänge ermöglichen positive transgressive Wirkungen im Kommunikationsdesign, was eine nachhaltig wirksame Kommunikation unterstützt [12].
Drei Dimensionen sozialer Gerechtigkeit im Kommunikationsdesign sind:
1. Generationen-Gerechtigkeit (gezielte Kommunikation an und Vermittlung zwischen nachfolgenden und allen Generationen). 2. Gender-Gerechtigkeit und 3. Niederschwelliger Zugang zu Informationsangeboten, auch und insbesondere zu Fragen der Klimakrise und nachhaltiger Gestaltung. Damit schließt sich der Kreis zwischen nachhaltigem Design, ökologischem und ökonomischem Handeln im Design und sozialer Gerechtigkeit im Design.
Soziale visuelle Gestaltung hat etwas mit der Materialität des Mediums selbst zu tun, dessen visueller Substanz und die Wechselwirkungen, die sich zwischen den Rezipierenden und der visuellen Substanz einstellen. Substanz bedeutet Formen, Strukturen und Farben, welche die Wirkung eines visuellen Mediums nachhaltig beeinflussen. Dabei wirkt Design sowohl auf basaler Wahrnehmungsebene, als auch bei der bewußten Rezeption, manchmal einfach als eine Frage von Geschmack durch Gefallen oder Nicht-Gefallen. So bedeutet Nachhaltigkeit bei visuellen Medien nicht nur bewußter Umgang mit Rohstoffen oder Energie bei Designprozess und Produktion, sondern auch sensibler Umgang mit menschlichen psychologischen Ressourcen wie Aufmerksamkeit, Vorlieben und kognitiven Fähigkeiten. Informationsangebote werden nur dann noch aufmerksam wahrgenommen, wenn sie in sozial verträglichen Layouts repräsentiert werden [13]. Die Aufmerksamkeitsressourcen von Menschen sind begrenzt, zu einem gegebenen Zeitpunkt kann nur eine stabile neuronale Repräsentation im Fokus des Bewusstseins steht [14].
Was kann Kommunikationsdesign leisten? – Neun Ansätze.
Aus den dargestellten Überlegungen ergeben sich neun Handlungsansätze für das Kommunikationsdesign: 1. Aufklären und erklären. 2. Durch nachhaltig wirksame Designlösungen das Problem der Klimakrise der vermeintlich anderen zum persönlichen Problem aller machen. 3. Handlungen für nachhaltiges ökologisch-soziales Verhalten bei Personengruppen und Individuen erzielen. 4. sich persönlich dazu verpflichten, Kommunikation, Produktion und Designleistung bereits in der Konzeption nachhaltig zu entwickeln. 5. Kunden und Kundinnen gegenüber im Sinne von Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit argumentieren. 6. externe Dienstleister nach entsprechenden Kriterien vorschlagen und auswählen, 7. bei Ressourcen-Debatten die Aufmerksamkeits-Ökonomie berücksichtigen und damit verbunden visuell nachhaltige Kommunikationslösungen anstreben. 8. Vor dem Hintergrund eines gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesses die persönlichen Möglichkeiten nicht unterschätzen. 9. Vorbildfunktion einnehmen.
Einigen der Punkte nahm sich Design längst an, zum Beispiel mit der Charta für nachhaltiges Design, dem Oslo-Manifest und dem Aufbau neuer Inhalte in der Designausbildung. Weitere direkte Handlungsempfehlungen für das Design müssen definiert werden. Analysen und Diskurse sollten sich dabei auf konkrete Problemstellungen stützen.
Und wo bleibt bei all dem Anspruch auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit im Design die Lust an der Gestaltung guter schöner Dinge? – Diese Frage ist im Vergleich zur Ernsthaftigkeit von Klimakrise und sozialer Ungerechtigkeit einfach zu beantworten: Gute emotionale und von Zielgruppen und -personen als ästhetisch und schön empfundene Entwürfe wirken, lösen ein Nachdenken und im Idealfall Handlungen aus. Wir Kommunikationsdesignerinnen und Kommunikationsdesigner haben das Potenzial, durch Design wichtige Themen anzusprechen, nicht zu sehr zu problematisieren und Handlungsfelder für alle aufzuzeigen.
Frank Barth, März 2022
[1] Gibson, James Jerome (1982): Wahrnehmung und Umwelt. München, Urban Schwarzenberg (Erstveröffentlichung 1979: The ecological approach to visual perception).
[2] Bertin, Jacques (1974): Graphische Semiologie – Diagramme, Netze, Karten. de Gruyter (Erstveröffentlichung 1967).
[3] Barth, Frank (2022): Visuelle Transgression. Elementarkräfte im Kommunikationsdesign. Monarch/Qucosa.
[4] https://www.oslomanifesto.com/... (dt. Übersetzung, Stand vom und letzter Aufruf am 1. Februar 2022). Das Manifest wurde bislang 285 Mal unterzeichnet.
[5] https://agd.de/designer/szene/... (letzter Aufruf am 1. Februar 2022). Seit 2009 ruft die AGD dazu auf, die Charta zu unterzeichnen. [6] Papanek, Victor (2009): Design für die Reale Welt. Anleitungen für eine humane Ökologie und sozialen Wandel. Übersetzung: Elisabeth Frank-Großebner. Reihe: Edition Angewandte, Springer, Wien/New York (Erstveröffentlichung 1971).
[7] Virilio, Paul (1994): Die Eroberung des Körpers. Vom Übermenschen zum überreizten Menschen. Carl Hanser, München, Wien (Erstausgabe 1993).
[8] Vgl. agd.de (letzter Aufruf am 1. Februar 2022).
[9] Vgl. Hartmann, Frank; Bauer, Erwin K. (Hrsg.) (2002): Bildersprache. Otto Neurath. Visualisierungen. WUV, Wien.
[10] Barth (2022), 225.
[11] Bonsiepe, Gui (1996): Interface: Design neu begreifen. Bollmann, Mannheim, 92.
[12] Barth (2022), 230.
[13] Barth, Frank (2015): Vitale Resonanz. Beitrag in Neuwerk 4 „Stille“, 9-18. Neuwerk – Magazin für Designwissenschaft, form + zweck Verlag, 2015.
[14] Kandel, Eric (2012): Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute. München, Siedler, 518.
Nachhaltig wirksame visuelle Reize
Ökologie und soziale Gerechtigkeit im Design visueller Medien
Ökologische Verantwortung und soziale Gerechtigkeit im Kommunikationsdesign erfordern unabhängige Detailanalysen. Gemeinsame Analysen sind dann sinnvoll, wenn es um ein soziales gerechtes Verhalten im Design gegenüber nachfolgenden Generationen geht. Diese Denkweise geht auf verschiedene Modelle, Definitionen und Theorien zurück, die zu neun Ansätzen für das Kommunikationsdesign führen.
Natur, Mensch, Gestaltung
Ökologie ist die Lehre von den Wechselbeziehungen zwischen belebter und unbelebter Natur. Projizieren wir diese Definition auf Medien und Gestaltung, dann geht es um Wahrnehmung und visuelle Substanz: Visuelle Ökologie hat mit dem Informationsfluss zwischen visuellen Medien und Menschen zu tun. Einerseits damit, wie diese Medien aufgebaut sind und andererseits damit, wie diese rezipiert werden. Designanalysen vor dem Hintergrund von Ökologie und Nachhaltigkeit nutzen Wahrnehmungs-, Informations- und Kommunikationstheorien sowie Theorien, Methoden und empirische Erkenntnisse aus Entwurfsprozessen und Umgang mit Design. Das sind beispielsweise formale Gestaltungsregeln und Farbtheorien aus dem Mediendesign und Fragen zu Informations- und Aufmerksamkeitsökonomie. Zudem werden sozialwissenschaftlich fundierte Theorien genutzt, die im System von visueller und medialer Materialität, der visuellen Substanz, und den Rezipierenden als Glieder von Gesellschaften angesiedelt sind. Ein für die angewandte Designtheorie wichtiger Ansatz ist die optische Rezeptionstheorie von James J. Gibson [1]. Er untersuchte Wechselwirkungen zwischen Menschen und Umgebung und unterschied den reinen Lichtreiz vom Lichtreiz zur Informationsübertragung. Diese Unterscheidung führt zur Annahme für visuelles Design, es gibt zur Informationsvermittlung notwendige und nicht notwendige Lichtreize innerhalb eines visuellen Mediums. Nachhaltige Kommunikation nutzt notwendige Reize und vermeidet nicht notwendige.
Eine in der Designlehre etablierte Methode ist die phänomenologische Analyse der Parameter Form, Farbe, Raum und Zeit vor dem Hintergrund gestaltungspraktischer Kontexte. In vielen Fällen wird nach einer Verbindung von visueller Substanz und kommunikativer Funktion gefragt. Das Sichtbare eines Mediums bildet die visuelle Substanz. Analysen von visueller Substanz in der Kartografie führte Jacques Bertin [2] durch. Er schlug für die Kartografie bestimmte visuelle Elemente und Strukturen sowie Strategien vor, die eine zielführende visuelle Kommunikation ermöglichen. Design vor dem Hintergrund der spezifischen Anwendung situations- und benutzerorientiert zu analysieren ist ein weiterer Ansatz. Zum Beispiel Untersuchungen um visuell-transgressive Kräfte zwischen Designlösungen und Menschen aufzuspüren und diese methodisch zu verbessern [3]. Je individueller die Ansprüche von Menschen an Design und Medien, an Aufbau und Adaptivität einer digitalen medialen Oberfläche sind, desto wichtiger sind informationsökonomische und -ökologische Betrachtungen aller zusammenwirkenden Parameter im Kontext visueller Kommunikation. In diesem Zusammenhang spielt der inhaltliche Aufbau von Medien eine ebenso wichtige Rolle, doch konzentriert sich vorliegende Darstellung auf visuelle Parameter.
Kritik und Verantwortung
Viele der aktuellen Fragen nahm Viktor Papanek in den 1970er Jahren vorweg. Er analysierte und kommentierte anhand zahlreicher Fallbeispiele und Projekte gesellschaftliche Problemstellungen [6]. Er betrachtete das Große und Ganze und warf Detailfragen auf, stellte Forderungen an das Design und entwickelte Vorschläge, Designprozesse nachhaltig zu verbessern. Bei seinen Ausführungen verfolgte er stets einen sozialen und ökologischen Anspruch. Die Rolle von Design als wichtiger Faktor für eine gezielte Veränderung der Gesellschaft war für Papanek selbstverständlich. Dieser Ansatz macht seine Gedanken, Beispiele und Szenarien für Designerinnen und Designer zu einem Leitgedanken für soziale und nachhaltige Transformation, beispielsweise zu Mobilität und Städteplanung. Er belegte nicht nur über 65 Jahre teils sorglosen Umgang mit ökologischen und sozialen Themen, sondern auch den Anspruch im Design, sich diesem zu stellen. So stellte er die ganz grundsätzliche Frage, ob Werbung für bestimmte Produkte bei jeder Zielgruppe angebracht und ethisch zu verantworten ist.
Visuelle Ökologie
Bilder und damit verbunden visuelle Medien und Produkte werden von einer bestimmten Person zu einer bestimmten Zeit oder Zeitspanne an einem bestimmten Ort wahrgenommen. Für einen informationsökologischen Ansatz im Kommunikationsdesign werden einerseits die Frequenz der Entstehung von Bildern und andererseits deren Darstellungsweisen betrachtet. Visuelle Ökologie untersucht den Informationsfluss zwischen visuellen Medien und Menschen, die diese nutzen. Dabei werden Menschen als Teil von Gesellschaften aufgefasst, die Zumutbarkeit der auf sie einwirkenden Informationsmenge und der Informationscharakter berücksichtigt und damit verbunden die Qualität der eingesetzten Mittel bewertet.
Betrachten wir die Wahrnehmung von visuellen Eindrücken, genauer die analoge Wahrnehmung von für kommunikative Zwecke erzeugter Bilder: Reize verändern sich ständig und der Mensch ist nicht mehr dazu in der Lage, einzelne Bilder wahrzunehmen. Vielmehr rezipiert er zahlreiche aneinandergereihte Bildeindrücke, und das in vielen Fällen über einen Medienmix. Auf dieses Phänomen führt Paul Virilio das Problem der analogen Wahrnehmung zurück, die Industrialisierung des Sehens [7]. Aufgrund der raschen Vergänglichkeit der Reize werden Bilder nur als Bilderfluss wahrgenommen. Den Sehenden fehlt die Möglichkeit ein Bild, einen einzelnen Reiz zu verstehen. Das ist prinzipiell ein natürliches Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Doch die schiere Fülle an Eindrücken führt in vielen Fällen zu Stress.
Visuell-ökologisches Handeln
Ökologisches Handeln durch visuelle Gestaltung führt zur Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung im Kommunikationsdesign. Virilio forderte die Senkung der Ausstrahlungsintensität von Bildern, doch ist das im Kommunikationsdesign umsetzbar? Eine Aufgabe der visuellen Kommunikation ist die Entwicklung pikturaler Elemente und Strukturen. Das sind, neben einzelnen Bildzeichen wie Signets oder Piktogrammen, meist komplexe Zusammenstellungen verschiedenster Bildparameter und -materialien für Layouts, Illustrationen und Fotos. Im engeren Sinne geht es um die Auswahl, Platzierung und Inszenierung von für einen kommunikativen Zweck geeignetem visuellem Material in Form von Linien und strukturierten Flächen in Helligkeitsabstufungen und Farben.
Durch die richtigen visuellen Methoden effektiv und zielgruppenspezifisch zu argumentieren ist visuell-ökologisches Handeln. Virilio und Gibson folgend ist es zudem nachhaltiger, weniger visuelle Eindrücke zu erzeugen als bisher üblich. Das bedeutet für nachhaltig wirksames Kommunikationsdesign, weniger visuelle Impulse zu entwerfen und diese zielgerichtet einsetzen. Ein leider immer noch verbreiteter Irrtum ist die Einschätzung, dass eine einzelne Designlösung für alle Zielgruppen gleichermaßen funktionieren kann. Das gilt aber nur bei Ausnahmeprojekten. Dabei kann nachhaltig und effektiv – also ökologisch und ökonomisch – besser kommuniziert werden, wenn Zielgruppen unmittelbar durch spezifische Medien in spezifischer Sprache und Stilistik angesprochen werden. Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn nicht relevante Zielpersonen von visuellen Eindrücken verschont bleiben und für die gewünschte Zielgruppen effektiv visuell kommuniziert wird, dann ist Kommunikationsdesign visuell-ökologisch.
Ist nachhaltiges visuelles Design möglich?
Entscheidungen im Designprozess bestimmen die Auswirkung von Produkten und Prozessen auf die Umwelt. Nachhaltiges Design soll von der Konzeption und Produktion bis hin zum Recycling ökologische und soziale Prinzipien berücksichtigen. Nachhaltigkeit sollte nicht als eine bestimmte Richtung oder Feld von Design verstanden werden, sondern ist Voraussetzung allen Designs, um positive Änderung zu bewirken. [8]
Designer und Designerinnen können im Sinne einer visuell-ökologischen Handlungsweise Reizfrequenzen mindern und Information Zielgruppengerecht strukturieren, visualisieren und präsentieren. Codierungsregeln für nachhaltig wirksame visuelle Codes formulierten Otto Neurath und Gerd Arntz [9]. Ihr Ansatz kann in fünf visuellen Codierungsregeln zusammengefasst werden: Im relationalen Einsatz der Bildzeichen, in der Typisierung von Bildzeichen, dem Verzicht auf perspektivische Darstellung, der hohen Konsistenz im Einsatz der Bildzeichen und einer Klarheit in der Farbgebung. Die Bildzeichen von Neurath und Arntz bilden ein Zeichensystem, das durch konsistente und nachhaltige Verwendung und möglichst große Gegenstandsähnlichkeit vorwiegend ikonografisch funktioniert [10]. Das kommt einer unmittelbaren und damit sozial nachhaltigeren Kommunikation gleich. Werden zum Beispiel ikonografische Zeichen konsistent eingesetzt, können sich Notationen und Notationssysteme etablieren. Für eine niederschwellige Informationsvermittlung durch Bilder werden ikonografische Darstellungen lediglich als visuell-rhetorische Figur der Analogie genutzt [11]. Auf diese Weise wird positive visuelle Transgression erzeugt und nachhaltig kommuniziert.
Soziale Gerechtigkeit im visuellen Design
Ein sozial gerechter Zugang zur Information berücksichtigt sowohl die kognitiven Fähigkeiten als auch die Wünsche und Bedürfnisse einer Person. Das führt zu einem niederschwelligen Zugang zur Information, einerseits durch Formulierungen im Text, einer Sprache die eine Zielperson erreichen kann oder einen Schreibstil, der sie anspricht. Andererseits mit der visuellen Stilistik, die eine Zielperson verstehen kann oder verstehen möchte.
Für den niederschwelligen Zugang zur Information sind präsentative Methoden den repräsentativen vorzuziehen. Präsentative Techniken sind Voraussetzung für natürliche Zeichenzusammenhänge. Natürliche Zeichenzusammenhänge ermöglichen positive transgressive Wirkungen im Kommunikationsdesign, was eine nachhaltig wirksame Kommunikation unterstützt [12].
Drei Dimensionen sozialer Gerechtigkeit im Kommunikationsdesign sind:
1. Generationen-Gerechtigkeit (gezielte Kommunikation an und Vermittlung zwischen nachfolgenden und allen Generationen). 2. Gender-Gerechtigkeit und 3. Niederschwelliger Zugang zu Informationsangeboten, auch und insbesondere zu Fragen der Klimakrise und nachhaltiger Gestaltung. Damit schließt sich der Kreis zwischen nachhaltigem Design, ökologischem und ökonomischem Handeln im Design und sozialer Gerechtigkeit im Design.
Soziale visuelle Gestaltung hat etwas mit der Materialität des Mediums selbst zu tun, dessen visueller Substanz und die Wechselwirkungen, die sich zwischen den Rezipierenden und der visuellen Substanz einstellen. Substanz bedeutet Formen, Strukturen und Farben, welche die Wirkung eines visuellen Mediums nachhaltig beeinflussen. Dabei wirkt Design sowohl auf basaler Wahrnehmungsebene, als auch bei der bewußten Rezeption, manchmal einfach als eine Frage von Geschmack durch Gefallen oder Nicht-Gefallen. So bedeutet Nachhaltigkeit bei visuellen Medien nicht nur bewußter Umgang mit Rohstoffen oder Energie bei Designprozess und Produktion, sondern auch sensibler Umgang mit menschlichen psychologischen Ressourcen wie Aufmerksamkeit, Vorlieben und kognitiven Fähigkeiten. Informationsangebote werden nur dann noch aufmerksam wahrgenommen, wenn sie in sozial verträglichen Layouts repräsentiert werden [13]. Die Aufmerksamkeitsressourcen von Menschen sind begrenzt, zu einem gegebenen Zeitpunkt kann nur eine stabile neuronale Repräsentation im Fokus des Bewusstseins steht [14].
Was kann Kommunikationsdesign leisten? – Neun Ansätze.
Aus den dargestellten Überlegungen ergeben sich neun Handlungsansätze für das Kommunikationsdesign: 1. Aufklären und erklären. 2. Durch nachhaltig wirksame Designlösungen das Problem der Klimakrise der vermeintlich anderen zum persönlichen Problem aller machen. 3. Handlungen für nachhaltiges ökologisch-soziales Verhalten bei Personengruppen und Individuen erzielen. 4. sich persönlich dazu verpflichten, Kommunikation, Produktion und Designleistung bereits in der Konzeption nachhaltig zu entwickeln. 5. Kunden und Kundinnen gegenüber im Sinne von Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit argumentieren. 6. externe Dienstleister nach entsprechenden Kriterien vorschlagen und auswählen, 7. bei Ressourcen-Debatten die Aufmerksamkeits-Ökonomie berücksichtigen und damit verbunden visuell nachhaltige Kommunikationslösungen anstreben. 8. Vor dem Hintergrund eines gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesses die persönlichen Möglichkeiten nicht unterschätzen. 9. Vorbildfunktion einnehmen.
Einigen der Punkte nahm sich Design längst an, zum Beispiel mit der Charta für nachhaltiges Design, dem Oslo-Manifest und dem Aufbau neuer Inhalte in der Designausbildung. Weitere direkte Handlungsempfehlungen für das Design müssen definiert werden. Analysen und Diskurse sollten sich dabei auf konkrete Problemstellungen stützen.
Und wo bleibt bei all dem Anspruch auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit im Design die Lust an der Gestaltung guter schöner Dinge? – Diese Frage ist im Vergleich zur Ernsthaftigkeit von Klimakrise und sozialer Ungerechtigkeit einfach zu beantworten: Gute emotionale und von Zielgruppen und -personen als ästhetisch und schön empfundene Entwürfe wirken, lösen ein Nachdenken und im Idealfall Handlungen aus. Wir Kommunikationsdesignerinnen und Kommunikationsdesigner haben das Potenzial, durch Design wichtige Themen anzusprechen, nicht zu sehr zu problematisieren und Handlungsfelder für alle aufzuzeigen.
Frank Barth, März 2022
[1] Gibson, James Jerome (1982): Wahrnehmung und Umwelt. München, Urban Schwarzenberg (Erstveröffentlichung 1979: The ecological approach to visual perception).
[2] Bertin, Jacques (1974): Graphische Semiologie – Diagramme, Netze, Karten. de Gruyter (Erstveröffentlichung 1967).
[3] Barth, Frank (2022): Visuelle Transgression. Elementarkräfte im Kommunikationsdesign. Monarch/Qucosa.
[4] https://www.oslomanifesto.com/... (dt. Übersetzung, Stand vom und letzter Aufruf am 1. Februar 2022). Das Manifest wurde bislang 285 Mal unterzeichnet.
[5] https://agd.de/designer/szene/... (letzter Aufruf am 1. Februar 2022). Seit 2009 ruft die AGD dazu auf, die Charta zu unterzeichnen. [6] Papanek, Victor (2009): Design für die Reale Welt. Anleitungen für eine humane Ökologie und sozialen Wandel. Übersetzung: Elisabeth Frank-Großebner. Reihe: Edition Angewandte, Springer, Wien/New York (Erstveröffentlichung 1971).
[7] Virilio, Paul (1994): Die Eroberung des Körpers. Vom Übermenschen zum überreizten Menschen. Carl Hanser, München, Wien (Erstausgabe 1993).
[8] Vgl. agd.de (letzter Aufruf am 1. Februar 2022).
[9] Vgl. Hartmann, Frank; Bauer, Erwin K. (Hrsg.) (2002): Bildersprache. Otto Neurath. Visualisierungen. WUV, Wien.
[10] Barth (2022), 225.
[11] Bonsiepe, Gui (1996): Interface: Design neu begreifen. Bollmann, Mannheim, 92.
[12] Barth (2022), 230.
[13] Barth, Frank (2015): Vitale Resonanz. Beitrag in Neuwerk 4 „Stille“, 9-18. Neuwerk – Magazin für Designwissenschaft, form + zweck Verlag, 2015.
[14] Kandel, Eric (2012): Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute. München, Siedler, 518.